
Akklimatisierung
Wir sind im Basislager auf 4300m angelangt. Es läuft alles nach Plan. Genau genommen sind wir dem Zeitplan voraus, weil die Anreise wie geschmiert ablief, was unserer Erfahrung nach selten der Fall ist.
Das Wetter ist auch gut, also kann die Akklimatisierung und Erkundung beginnen. Am nächsten Tag starten wir erst um 8.00 da wir aufgrund der Anreise doch etwas geschlaucht waren. Wir folgen dem langen Blockgletscher und nach einer halben Stunde biegen wir in ein Seitental ein, von wo der zerklüftete Serac-Gletscher herabzieht. Wir hoffen an dessen rechten Rand einen geeigneten Durchschlupf zu finden. Aufgrund der Tageserwärmung versuchen wir uns auch zu beeilen, um nicht zu lange der Gefahr von Steinschlag ausgesetzt zu sein.

Schnell kommen wir höher. Der Weg erweist sich als optimal und weicht dem zerklüfteten Gletscher elegant aus. Teils müssen wir Spaltenzonen überwinden und diverse Eisstufen erklettern aber wir kommen gut voran. Um die Mittagszeit brennt die Sonne richtig herunter und innerhalb kürzester Zeit wird der Schnee komplett durchnässt. Wir befinden uns gerade in einer steilen Schneeflanke mit meterhohen Furchen, welche Nassschneerutsche bezeugen. Wir müssen schnellstens den Bereich verlassen, obwohl wir nur 100 Höhenmeter unter dem großen Gletscherbecken des Serac-Peaks sind. Wir flüchten in Richtung eines kleinen Schneegrats und erreichen ihn bevor es wirklich brenzlig wird.
Überglücklich!! Wir haben bereits eine Höhe von fast 5300m erreicht und somit knapp 1000 Höhenmeter überwunden. Aus Sicht der Akklimatisierung sind wir natürlich brachial übers Ziel hinausgeschossen. Der Plan wäre auch gewesen etwas tiefer zu schlafen, aber die Umstände lassen dies nicht zu. Somit verbringen wir eine Nacht mit Kopfschmerzen und Übelkeit, um in der Früh bei perfekten Bedingungen abzusteigen. Simon musste sich in der Nacht übergeben, doch ich lasse es mir nicht nehmen und steige in der Früh schnell zum Plateau auf und deponiere einige Sachen.

Bonsai
Wir nutzen den Tag zum Relaxen. Nach dem Abstieg geht es uns auch sofort besser. Nur die Hitze und Strahlung im Basecamp machen uns zu schaffen. Man findet kaum Platz um sich von der Sonne zu schützen.
Nach einer feinen Nacht starten wir in ein Mikro-Abenteuer direkt hinter unserem Lager. Ringsum befinden sich etliche unbestiegene, steile Felswände. Wir wollen den ersten logischen Pfeiler erklettern: BaseCamp Peak (5500m). Der Fels ist bombastisch. Inmitten der Wand sticht ein kleiner Baum heraus, der uns als Namensgebung und Orientierung dient.
Es ist ein Geschenk wenn man im Basislager die Möglichkeit zu solchen kleineren Abenteuern hat.

Simple Life vs Danger
Die Prognose für die kommenden Tage ist unbeständig und somit ist eine Planung natürlich schwierig. Wir wollen so schnell wie möglich erneut zum oberen Gletscherbecken, um die Akklimatisierung anzukurbeln und den Weiterweg zu studieren, doch nächtliche Regengüsse und Schneefall vereiteln unsere Pläne abermals. Wir vertreiben uns die Zeit rund ums Basecamp größtenteils mit Lesen, Bouldern und Dehnen. Das Leben im Basecamp ist einfach und öde. Man stellt sich die Frage, warum man sich das antut, aber im Endeffekt wird man geerdet und man schätzt im Nachhinein den Luxus zu Hause viel mehr.
Nachdem der Wetterbericht vage bleibt und die Tage verstreichen, machen wir uns schließlich doch auf um an einem unsicheren Tag das Gletscherplateau zu erreichen. Das Wetter hält halbwegs und wir sind richtig schnell. Im Aufstieg beginnt es leicht zu schneien und auf Höhe unseres letzten Schlafplatzes schneit es bereits intensiver. Plötzlich werden wir von ersten Lawinen überrascht. Wir haben die Schneefallmengen in der Höhe unterschätzt, da es im Basislager ständig nur regnete. Im Nu sind wir in der Falle. Der Schneefall wird immer stärker, der Bereich unter uns ist auch lawinengefährdet und aus der Flanke hören wir immer häufiger das Gröhlen von anrollenden Lawinen, welche wir aufgrund der schlechten Sicht erst spät sehen. Wir rennen fast über die Flanke und erreichen unser "rettendes" Depot auf dem Gletscherplateau.
Wir bauen unser Zelt auf und kochen erst mal Wasser und versuchen uns zu entspannen. Mittlerweile schneit es unaufhörlich und im Minutentakt hört man Lawinen herabrollen. Die nächsten Stunden müssen wir regelmäßig das Zelt von Schnee befreien. Gefangen auf 2 Quadratmeter.
Ein weiterer Blick auf die Wetterprognose verheißt nichts Gutes: Drei Tage Schlechtwetter mit starkem Niederschlag, am kommenden Tag bis zu 50cm Neuschnee. Wir müssen uns entscheiden und diskutieren unsere Optionen. Abwarten und vermutlich in drei Tagen vällig erschöpft ins Basislager oder ein kurzes Wetterfenster vor Dämmerung nutzen und absteigen.
Erstens reichen unsere Vorräte nur knapp für die Zeit aus und zweitens haben wir auch keine Lust im kleinen Zelt Löcher in die Wand zu starren.
Im Laufe des Tages nimmt der Schneefall ab und wir nutzen einen optimalen Moment kurz vor Dämmerung um ins Basislager zu flüchten. Wir brauchen nur eine Stunde.

Snow Leopard
Wir sind richtig happy, dass wir den richtigen Zeitpunkt für den Abstieg gefunden haben und nicht im HighCamp ausharren müssen. Wir haben wieder viel gelernt über den Berg und die Verhältnisse. Auch wenn wir erst auf 5400m waren, fühlten wir uns gut. Uns war von Anfang an klar, dass Akklimatisieren umringt von steilen Wänden schwierig wird.
Wir erholen uns erst mal von den Strapazen. Der Wetterbericht lässt auch nicht viel Spielraum zu. Über Nacht bekommen wir Besuch von einem Schneeleoparden. Unser Koch hat, laut seinen eigenen Angaben, unser Küchenzelt vor dem Leopard verteidigt. Auch wenn die Geschichte etwas seltsam klingt, finden wir doch am kommenden Tag Spuren im Schnee, womöglich von einem Schneeleoparden.
Am Nachmittag ist aufgrund der hohen Temperaturen Steinschlag-Alarm im Basecamp. Aus einer Rinne oberhalb des Camps fallen diverse Kühlschränke vorbei, kleinere Felsbrocken kommen recht nahe ans Camp, aber wir haben die bestmögliche Position. Mulmig ist die erste Nacht danach trotzdem und die Zelttür bleibt halb offen um eine schnellstmögliche Flucht zu gewährleisten.
Wir nutzen die wenigen schöne Stunden um auch den zweiten offensichtlichen Grat hinter dem Camp zu erklettern. Doch bereits beim Einstieg kommt erneut leichtes Schneegestöber auf. Wir steigen dennoch ein und klettern die schönsten Meter bei herrlichem Wetter und Traumaussicht auf Masherbrum und Yernamandu Kangri.

All In
Wir sind schon über der Halbzeit unserer Expedition. In den letzten Tagen gab es vermehrt Niederschlag und wir können nur erahnen wieviel Schnee mittlerweile in der Höhe liegt. Die Temperaturen sind sehr hoch und wir können nur hoffen, dass sich der Schnee auch in der Höhe setzt. Als uns die Info über ein Schönwetterfenster von vier Tagen erreicht, beginnt die Nervosität zu steigen. Wir müssen mindestens noch einen Tag abwarten, damit die Hänge sich entladen können. Unsere Akklimatisierung ist auch eher grenzwertig und suboptimal. Aber wir müssen definitiv versuchen ins 1. Highcamp zu gelangen. Wenn wir uns gut fühlen können wir eventuell am Folgetag das 2. Gletscherplateau auf 6300m erreichen.

Gesagt getan. Der Aufstieg zum Depot fällt leicht, wir sind gut ausgeruht und nutzen die kalten Morgenstunden. Wir gehen sofort flach weiter vorbei an riesigen Spaltenzonen um näher am kommenden Anstieg zu sein. Außerdem müssen wir den Weiterweg noch auskundschaften. Die Eisflanke zum oberen Gletscherbecken ist bedroht von einem riesigen Serac und dem wollen wir nicht zu nahe kommen.
Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel und wir finden nur mäßig Schutz im Zelt. Wir versuchen so viel wie möglich zu trinken, doch trotzdem bekommen wir über Nacht starke Kopfschmerzen. Wir sind uns jedoch sicher, dass dies der Sonne und nicht der Höhe zuzuschreiben ist.

Am kommenden Tag bei Dämmerung stapfen wir los. Der Schnee in dieser Höhenlage ist perfekt und wir kommen schnell voran. Am Wandfuß der folgenden Eiswand zeugen große Brocken von einer Gefahr des Seracs, jedoch haben wir in den letzten Wochen keine Aktivität gesehen. Trotzdem versuchen wir uns nur so lang wie nötig in der Gefahrenzone aufzuhalten. Mit zunehmender Höhe merken wir auch die Anstrengung und wir werden immer langsamer. Wir erreichen das obere Gletscherplateau auf etwa 6200m und sind verblüfft von der Weitläufigkeit und Komplexität. Der Wandfuß des Yernamandu Kangri scheint zum Greifen nahe und ist doch noch so weit entfernt.

Waren die Verhältnisse bis hierhin noch gut, ändert sich dies schlagartig auf dem Plateau. Auch wenn die Strahlung stark ist, sind wir mittlerweile über 6000m und leichter Wind vereitelt die Umwandlung des Schnees. Ab dem Grat kämpfen wir mit Bruchharsch, der uns wortwörtlich in die Knie zwingt. Wir errichten Camp auf 6300m unter einem Serac, der uns als geeignet und geschützt erscheint.

Das Camp ist anfangs wirklich ein Segen, schenkt es uns doch Schatten und Sicherheit, doch ab Mittag kommt dann erneut die Sonne ins Spiel. Und da unser Camp nach Westen ausgerichtet ist bleibt sie auch bis zum bitteren Ende. Hinzukommend beginnt durch die Erwärmung auch der Serac unter dem wir unser Zelt versteckt haben zu tropfen an. Der Tag vergeht mit Trinken, Sonnenschutz suchen und der Frage was wir am Folgetag machen werden. Der Gipfel ist zum Greifen nahe, die Verhältnisse sind mäßig bis schlecht, Akklimatisierung ist auch eher grenzwertig und ein Wetterumschwung ist übermorgen zu erwarten. Wir entscheiden uns für einen Versuch mit kleinem Rucksack. Das heißt: 1 Snickers, 1l Wasser, 30m Hilfsleine. Thats it. Schnell rauf, schnell runter. Jedoch glauben wir beide nicht wirklich an einen Gipfelerfolg.

Wir starten erneut bei Dämmerung. Früher ist aufgrund der Unübersichtlichkeit des Gletschers nicht möglich. Wir haben beide nicht geschlafen, da der tropfende Serac das Zelt zu einer Art Folterkammer verwandelt hat. Jedoch ist an Schlaf vor einem großen Tag in großer Höhe eh kaum zu denken.
Wir durchschreiten das riesige Gletscherbecken, brechen bei jedem 2. Schritt ein und müssen auch noch eine große Spaltenzone umgehen. Doch plötzlich stehen wir unter der Wand. Wir sind beide fertig und vereinbaren erneut bei schlechten Verhältnissen in der Wand umzudrehen. Die Verhältnisse werden schlechter, das Stapfen in der steilen Wand wird zur Qual, doch keiner spricht ein Wort. Zu groß ist die Anziehungskraft, das Wetter ist gut und die Chance ist zum Greifen nahe. Wir überwinden die 500hm Westwand, am Schluss über mäßiges Mixedgelände und erreichen um 11.15 den Gipfel des Yernamandu Kangri.

Leider ist der Gipfel unter Wolken, doch die Aussicht ist uns in dem Moment egal. Wir haben es wirklich geschafft. Entgegen aller Erwartungen stehen wir drei Wochen nach Abreise von zu Hause am Gipfel des 7180 Meter hohen Yernamandu Kangri. Unfassbar!!!

Allzu lange halten wir uns nicht am Gipfel auf. Wir müssen noch absteigen. Viel zu wenig haben wir zu uns genommen und für zu langes Ausharren in der Höhe sind wir zu schlecht akklimatisiert. Wir schlagen etwas unterhalb des Gipfels einen Haken und beginnen den mühsamen Abstieg. Die Schnee-/Eisflanke war im Aufstieg anstrengend, aber sicherheitstechnisch gut machbar. Im müden Zustand im Abstieg erweist sie sich jedoch als gefährlichste Passage der ganzen Unternehmung. Wie in Trance steigend und rutschend bewegen wir uns still nach unten und hoffen, dass alles gut geht. Es ist der einzige Weg nach unten. Völlig ausgezehrt und K.O. finden wir uns am Wandfuß wieder. Wir suchen Schutz vor der Sonne unter einem riesigen Serac-Brocken um ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Doch zu lange können wir uns nicht aufhalten. Zu weit ist noch der Weg und wir haben schon lange nichts mehr getrunken. Der Schnee im Gletscherbecken hat mittlerweile von Bruchharsch zu aufstollendem Schnee gewechselt, was uns jeden weiteren Schritt noch erschwert. Der aufgeweichte Schnee macht uns am Schluss noch Sorgen und somit packen wir am letzten Gletscherbecken noch das Seil aus. Eher aber um es nicht mehr tragen zu müssen. Einen klaren Gedanken kann keiner mehr fassen. Die letzten Meter zum Camp müssen wir noch aufwärts, was wir mühsam auf Knien bewältigen. Komplett am Ende erreichen wir unser Zelt um sofort Schnee zu schmelzen. Unser Körper ist im Überlebensmodus und kann kaum Wasser geschweige denn Nahrung zu sich nehmen. Doch wir sind vorerst sicher. Liegend und eher still verbringen wir den restlichen Tag.
Noch können wir uns nicht richtig freuen, da noch ein ewig langer Abstieg vor uns liegt. Schon in der Nacht beginnt es wieder zu regnen, auf über 6000m. Wir beginnen im Dunkeln mit dem Abstieg, um dem Schlechtwetter noch einigermaßen auszuweichen. Vage habe ich die folgenden Tage in Erinnerung, aber wir haben das Camp sicher erreicht.

Die nächsten Wochen sind gekennzeichnet von übermäßiger Mattheit und einer Art Depression. Wir haben nicht die Energie um noch einen Anlauf für ein kleines Abenteuer zu starten. Wir brechen nach einem Ruhetag nach Hushe auf und liegen die meiste Zeit im Bett. Zurück in Skardu hole ich mir noch einen Magen-Darm-Infekt und auch zu Hause erhole ich mich nur langsam.
Die Expedition auf den Yernamandu Kangri hat dem Körper viel abverlangt. Vielleicht habe ich deshalb über ein Jahr gebraucht um die Geschehnisse niederzuschreiben.
Das nächste Abenteuer kommt bestimmt.
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